Prüfungsschema zu gefährlichen Eingriffen in den Straßenverkehr (§ 315b StGB): Täter beeinträchtigt durch einen verkehrsfremden Eingriff (Tathandlung) abstrakt die Sicherheit des Straßenverkehrs und gefährdet dadurch konkret Leib / Leben einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert.
§ 315b StGB dient dem Schutz des Straßenverkehrs vor Eingriffen von außen (sog. verkehrsfremde Eingriffe), während § 315c StGB dem Schutz vor Eingriffen durch verkehrsinternes Verhalten dient.
Siehe hierzu auch die Übersicht: Verkehrsdelikte (§§ 315 ff. StGB).
Es muss sich bei sämtlichen Alternativen unter a) um einen verkehrsfremden Eingriff handeln (Arg.: Systematik der Verkehrsdelikte).
Verkehrsfremder Eingriff = Einwirkung in den Straßenverkehr, der von außen kommt und zu den Verkehrsvorgängen nicht in Beziehung steht
Kann der Täter mit seinem eigenen Auto einen verkehrsfremden Eingriff vornehmen?
e.A.: (-) Nein
(pro) Systematische Unterteilung der Verkehrsdelikte in Eingriffe von innen und von außen, wobei § 315b StGB nur Eingriffe von außen umfasst. Eingriffe von innen und somit Fehlleistungen des Fahrzeugführers sind hingegen nicht umfasst.
(-) Grundsätzlich nicht
(pro) wie a.A. oben
(+) Ausnahme „verkehrsfeindlicher Inneneingriff“
Anders ist dies, wenn das Kfz bewusst nicht mehr als Fortbewegungsmittel, sondern zweckentfremdet in verkehrsfeindlicher Willensrichtung oder als Waffe verwendet wird (Stichwort: Pervertierung des Straßenverkehrs)
(pro) Auto dann nicht mehr bestimmungsgemäßer Teil des Innensystems
Anlagen = Feste, auf Dauer angelegte Einrichtungen, die dem Verkehr dienen
Beispiele: Leitplanken; Verkehrsschilder; Ampeln; die Straße selbst
Fahrzeuge = Alle im öffentlichen Verkehr vorkommenden Fortbewegungsmittel zur Beförderung von Personen oder Gütern
Beispiele: Kfz; Fahrräder; E-Scooter; Inline-Skates
Beseitigen = Entfernen vom ursprünglichen Ort und Verbringen an einen Ort, an dem die zugewiesene Funktion nicht mehr erfüllt wird
Beschädigen / zerstören → wie bei der Sachbeschädigung (§ 303 StGB)
Beispiele: Nachhausenehmen eines 30km/h-Schildes; Durchtrennung eines Kfz-Bremsschlauchs; Wurf eines Schneeballs mit Steinen auf eine Windschutzscheibe
Bereiten von Hindernissen = Jede Störung des regelmäßigen Verkehrsbetriebes oder die pflichtwidrige Unterlassung der Behebung einer solchen Störung
Beispiele: Spannen einer Slackline quer über eine Straße; Nichtbeseitigung einer hinterlassenen Öl- oder Benzinspur
Auffangtatbestand für Handlungen mit vergleichbarer Gefährlichkeit.
Es muss eine abstrakte Gefährdung des Straßenverkehrs vorliegen.
Beeinträchtigung der Sicherheit = Steigerung der normalen Betriebsgefahr, d.h. Gefährdung des Verkehrs in seinem ungestörten Ablauf
Straßenverkehr = Jede Verkehrsart auf (h.M.: öffentlichen) Straßen, Wegen und Plätzen
Beispiele: Kfz-Verkehr auf Bundesstraßen, Fahrradfahren auf Fahrradwegen, Zufußgehen auf Gehwegen
Nach h.M. muss es sich um „öffentliche“ Straßen, Wege oder Plätze handeln.
(pro) Telos: Schutzzweck des § 315b StGB als gemeingefährliches Delikt ist der allg. Straßenverkehr
Öffentlich = Verkehrsraum wurde vom Verfügungsberechtigten für jedermann oder zumindest eine allgemein bestimmte Personengruppe zur Benutzung zugelassen
Während es bei b) um eine abstrakte Gefährdung des Straßenverkehrs geht, müssen hier bei c) konkrete Individualrechtsgüter gefährdet sein.
Konkrete Gefährdung = Kritische Situation, in der bei ungehindertem Fortgang jederzeit die Realisierung der Gefahr (hier: Schaden an Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremden Sachen) zu erwarten ist und dies nur noch vom Zufall abhängt (sog. „Beinaheunfall“)
Rspr.: Es muss sich zudem um eine verkehrsspezifische Gefährdung handeln
Verkehrsspezifische Gefährdung = Gefährdung, die - jedenfalls auch - auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist
Es muss sich um eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen handeln.
Sind auch Mittäter / Teilnehmer und sonstige Beifahrer vom Tatbestand umfasst (also „andere Menschen“ i.S.d. Abs. 1 a.E.)?
e.A.: (+) Ja, vom Tatbestand sind alle umfasst (aber ggf. rechtfertigende Einwilligung)
(pro) Wortlaut: Nimmt keine Einschränkung vor.
h.M.: (+/-) Differenzierend
Es sind nur die Beifahrer umfasst, die nicht selbst Mittäter oder Teilnehmer sind (z.B. Anstifter oder psychische Gehilfen).
(pro) Telos: Nur diese sind schutzwürdig; andere gehören quasi zur Sphäre des Täters und sind daher nicht vom Schutzzweck umfasst.
a.A.: (-) Nein, alle nicht umfasst
(pro) Telos: Nicht schutzwürdig; begeben sich alle selbst in die Tätersphäre.
(con) Systematik: Umgeht Anforderungen der Einwilligung.
Es muss sich um eine konkrete Gefährdung von fremden Sachen von bedeutendem Wert handeln.
Sache = Jeder körperliche Gegenstand (vgl. § 90 BGB)
Fremd = Nicht im Alleineigentum des Täters (Sache gehört zumindest auch einem anderen) und nicht herrenlos (vgl. § 959 BGB)
Von bedeutendem Wert = Wirtschaftlicher Wert der Sache selbst sowie auch das Ausmaß des daran drohenden Schadens übersteigen ca.
Beispiel: An einem 2.800€ teuren E-Bike droht ein Totalschaden (letztlich eingetretener Schaden kann auch geringer sein)
Das Täterverhalten in Form des verkehrsfremden Eingriffs muss zunächst kausal für die abstrakte Straßenverkehrsgefährdung sein.
Nicht ausreichend ist eine unmittelbare Kausalität des Täterverhaltens für die konkrete Gefährdung (pro): Wortlaut „dadurch… und dadurch…“).
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert. Siehe für eine Übersicht der möglichen Rechtfertigungsgründe die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
Schuld bezeichnet die persönliche Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Auch diese wird grundsätzlich angenommen. Siehe für Fälle, in denen sie entfällt (Schuldunfähigkeit, entschuldigende Irrtümer und Entschuldigungsgründe) die Übersicht: Rechtswidrigkeit und Schuld im Strafrecht.
§ 315b III StGB erklärt über einen Verweis die Qualifikationen des § 315 III StGB (gilt direkt nur für Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr) für anwendbar.