Prüfungsschema zum Herausgabeanspruch (§ 985 BGB): Der Eigentümer kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen, sofern dieser nicht gem. § 986 BGB zum Besitz berechtigt ist. Man spricht in diesem Fall von einem sog. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (EBV) oder auch von einer sog. Vindikationslage.
Eine zentrale und hoch klausurrelevante Besonderheit des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses (EBV) besteht in dessen grundsätzlicher Ausschlussfunktion / Sperrwirkung für andere Ansprüche zwischen Eigentümern und Besitzern (insb. aus GoA, Deliktsrecht, Bereicherungsrecht).
Grund hierfür ist der Anspruch der §§ 987 ff. BGB, die Rechte zwischen Eigentümer und Besitzer abschließend zu regeln. Dies dient insb. dem Schutz des gutgläubigen, redlichen (d.h. unverklagten) Besitzers, der nach den §§ 987 ff. BGB nur sehr eingeschränkt haftet.
Beachte jedoch, dass die h.M. von dieser grundsätzlichen Ausschlussfunktion eine Reihe von Ausnahmen für Fälle vorsieht, in denen diese Privilegierung nicht gerechtfertigt ist (Fremdbesitzerexzess, Rechtsfortwirkungsansprüche…). Die Anwendbarkeit anderer nicht-vertraglicher Anspruchsgrundlagen muss dann jedoch einleitend gesondert begründet werden.
Der streitbefangene Gegenstand muss eine Sache i.S.d § 90 BGB sein. Dazu zählen bewegliche und unbewegliche Sachen.
Der Anspruchsteller muss Eigentümer sein.
Beachte dabei die grundsätzliche Eigentumsvermutung des § 1006 BGB für bewegliche Sachen und des § 891 BGB für Grundstücke.
Eigentümer ist aber z.B. auch der i.d.R. besitzlose Sicherungseigentümer
Bei der Prüfung der Eigentümerstellung bietet sich eine chronologische Herangehensweise an, bei der vom letzten unstreitigen Eigentümer her begonnen wird.
Der Anspruchsgegner muss zum Zeitpunkt der Anspruchsstellung Besitzer der Sache sein.
Nach früher heftig umstrittener, heute jedoch herrschender Meinung kann dieser jede Art von Besitzstellung innehaben, also sowohl unmittelbaren Besitz nach § 854 BGB, als auch mittelbaren Besitz (§ 868 BGB) oder fingierten Besitz (z.B. Erbenbesitz, § 857 BGB). Nach h.M. nicht Anspruchsgegner sein kann der Besitzdiener, sondern hier wegen des Wortlautes des § 855 BGB nur der Besitzherr.
Je nach Art des Besitzes können sich jedoch unterschiedliche Rechtsfolge des Anspruchs ergeben. Der Anspruch gegenüber dem mittelbaren Besitzer kann sich beispielsweise wahlweise auf die Herausgabe der Sache oder auf die Übertragung des mittelbaren Besitzes (nach § 870 BGB) richten.
Der Anspruchsgegner darf kein Recht zum Besitz haben (§ 986 BGB).
Sind die Besitzrechtsverhältnisse Einwendungen oder Einreden (im Sinne des materiellen Rechts)?
Siehe allgemein zum Unterschied die Übersicht: Rechtshindernde Einwendungen, rechtsvernichtende Einwendungen und rechtshemmende Einwendungen (Einreden).
m.M.: Einreden (i.S.d. materiellen Rechts = rechtshemmende Einwendungen)
(pro) Wortlaut des § 986 I 1 BGB: „kann [...] verweigern“.
Prüfung erfolgt nur, wenn sie vom Schuldner im Prozess eingebracht werden.
h.M.: Einwendungen
(pro) Wortlaut der Überschrift: „Einwendungen des Besitzers“; Systematik: Formulierung „Der Anspruch ist ausgeschlossen“ in den §§ 1004 II und 1007 III BGB.
Prüfung erfolgt vom Amts wegen auf Grundlage des Vortrags des Schuldners.
Dingliche Besitzrechte wirken absolut gegenüber jedermann und somit stets auch gegenüber dem Eigentümer.
Beispiele: Nießbrauch (§ 1036 I BGB); Pfandrecht (§§ 1205 ff. BGB)
Konstituiert ein Anwartschaftsrecht ein (dingliches) Besitzrecht?
Rspr.: Besitzrecht (-)
(pro) Systematik: Anwartschaftsrecht ist kein dingliches Recht - es ist vom Verpflichtungsgeschäft abhängig
h.L.: Besitzrecht (+)
(pro) Systematik: Anwartschaftsberechtigter hat bereits das im Eigentum inbegriffene Besitz- und Nutzungsrecht erhalten; Anwartschaftsrecht ist somit „wesensgleiches Minus“ zum dinglichen Vollrecht
Bei den schuldrechtlichen / obligatorischen oder sonstigen relativen Besitzrechten ist grds. zusätzlich zu untersuchen, ob diese auch gerade dem Eigentümer gegenüber gelten.
Vertrag
Insbesondere: Miete, Pacht, Leihe, Kauf
Familienrecht
Recht zum Besitz jedes Ehegatten am Hausrat des Partners, vgl. § 1353 BGB
Konstituiert ein Zurückbehaltungsrecht (z.B. §§ 273, 1000 BGB) ein obligatorisches Besitzrecht?
e.A.: Besitzrecht (+)
(pro) Systematik: Auch Zurückbehaltungsrechte erlauben es dem Besitzer, die Sache zu behalten.
Hat der „nicht-so-berechtigte“-Besitzer ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 BGB?
Fraglich ist, ob ein Besitzer, der sein Besitzrecht inhaltlich überschreitet, weiterhin ein Besitzrecht innehat.
Beispiel: A verleiht sein Motorrad an B, sodass dieser den Sommer über damit fahren darf; B zerstört das Motorrad vorsätzlich
e.A.: (-) Nein, kein Besitzrecht mehr
(pro) Das konkret ausgeübte Besitzrecht ist nicht vom normativen Recht zum Besitz umfasst.
h.M.: (+) Ja, weiterhin bestehendes Besitzrecht
Das Recht zum Besitz bleibt grundsätzlich bestehen.
(pro) Systematik: Der Eigentümer ist durch vertragliche und deliktische Ansprüche ausreichend geschützt; die Haftungsprivilegien des berechtigten Besitzers wie z.B. § 606 BGB dürfen nicht durch §§ 987 ff. BGB unterlaufen werden.
Hat der „nicht-mehr-berechtigte“-Besitzer ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 BGB?
Fraglich ist, ob ein Besitzer, der sein Besitzrecht zeitlich überschreitet, weiterhin ein Besitzrecht innehat.
Beispiel: A verleiht sein Motorrad an B, sodass dieser den Sommer über (bis Ende September) damit fahren darf; B gibt das Motorrad auch nach Ende September nicht zurück
e.A.: (+) Ja, weiterhin bestehendes Besitzrecht
(pro) Systematik: Der Eigentümer ist durch Rückabwicklungsvorschriften und deliktische Ansprüche hinreichend geschützt.
h.M.: (-) Nein, kein Besitzrecht mehr
(pro) Systematik: Sonst bleibt § 985 BGB nur der Anwendungsbereich des unfreiwilligen Besitzverlustes, der bereits durch § 1007 II BGB geschützt ist.